Impulskontrolle oder «Die Schnapsglasanalogie»
Das Thema Impulskontrolle liegt mir ganz persönlich sehr am Herzen. Mein Hund Loup ist ein Paradebeispiel, wenn es um reaktive Hunde geht. Die Analogie vom Schnapsglas hat mir super aufgezeigt, wie mein Hund eigentlich tickt und was ich tun kann, um die Lebensqualität von uns beiden enorm zu verbessern. Ich beleuchte heute das Thema Impulskontrolle etwas genauer und plädiere damit für mehr Verständnis für sehr aktive oder auch reaktive Hunde. In diesem Blogbeitrag lernen Sie, was in Ihrem Hund vorgeht und mit welchen Schritten es Ihnen gelingt, Ihrem Hund den Stress zu nehmen und ihm ein emotional weniger aufgeladenes Verhalten zu ermöglichen.
Was ist Impulskontrolle?
Als Impulskontrolle wird in der Psychologie der kontrollierte Umgang mit inneren Impulsen und Aussenreizen beschrieben. In unserem Umfeld darf der Hund lange nicht jedem inneren Impuls folgen oder auf alle äusseren Reize reagieren. Er muss sich kontrollieren, um seinen ersten Impulsen nicht nachzugeben.
Was hat Impulskontrolle mit Schnapsgläsern zu tun?
Das ist eine tolle Geschichte. Jedes Lebewesen hat ein gewisses, ganz eigenes Mass an Impulskontrolle, aus welchem es schöpfen kann. Und dieses Mass vergleichen wir in dieser Analogie mit einem vollen Schnapsglas. Sie können sich das so vorstellen: Jedes Mal, wenn irgendwo Impulskontrolle verlangt wird, leert sich das Glas um einen kleinen Schluck. Je nachdem, wieviel Energie die Selbstkontrolle in einer bestimmten Situation verlangt, ist der Schluck etwas kleiner oder eben etwas grösser. Und tatsächlich hat auch jedes Lebewesen ein unterschiedlich grosses Glas, aus dem es schöpfen kann. Hunde wie mein Hund Loup zum Beispiel, verfügen dabei eher nur über ein kleines Schnapsgläschen, während andere, sehr gemütliche Tiere schon fast ein Mass zur Verfügung haben.
Und was hat das jetzt mit meinem Hund zu tun?
Eine ganze Menge! Denn Ihr Hund muss den ganzen Tag eine unglaublich riesige Menge an Impulskontrolle zeigen. Nehmen wir mal einen für uns eher ereignislosen Tag als Beispiel. Während er für Sie ganz gemütlich mit Frühstück, einem schönen Spaziergang, vielleicht einem Besuch bei Freunden zum Kaffee und am Abend einem netten Film abläuft, sieht der Tag für Ihren Hund ganz anders aus. Er muss sich den ganzen Tag zusammenreissen und praktisch alle seine Impulse kontrollieren. Da viele seiner natürlichen Verhaltensweisen in unserer Welt nicht geduldet werden, nippt er sozusagen den ganzen Tag an seinem Schnapsgläschen.
Das fängt schon bei der Morgenfütterung an. Muss Ihr Hund zuerst vor dem Napf sitzen und/oder Sie anschauen, bevor er sich bedienen darf? Dazu muss er sich selbst zurückhalten, indem er seinen natürlichen Impuls - nämlich so schnell wie möglich sein Fressen hinunterzuschlingen - unterdrücken muss. Wenn Sie dann spazieren gehen, muss er vielleicht vor der Türe warten und darf nicht direkt hinausrennen, was er aber am liebsten tun würde. Ein Spaziergang benötigt eine Unmenge an Impulskontrolle für unsere Hunde. Sie dürfen nicht hinter Katzen oder Eichhörnchen herjagen. Sie müssen bei Fuss laufen, obwohl sie doch unbedingt an einer Ecke schnüffeln oder im Zickzack durch die Gegend rennen möchten. Sie dürfen Nachbars Briefkasten nicht anpinkeln und oft auch keine Menschen oder andere Hunde begrüssen, geschweige denn mit ihnen spielen. Sie dürfen nichts fressen, das am Boden liegt und wenn wir jemand treffen, mit dem wir gerne kurz plaudern, müssen sie geduldig neben uns warten, statt ihren Leidenschaften nachgehen zu können. Ist Ihnen etwas aufgefallen? Der Tag hat erst gerade angefangen und Ihr Hund musste sich schon fast ein Duzend mal zurücknehmen. Wenn er nur über ein kleines Schnapsglas verfügt, ist es vielleicht bereits auf dem Morgenspaziergang zum ersten Mal geleert.
Was kann die Impulskontrolle noch beeinflussen?
Es gibt eine ganze Menge äussere und innere Einflüsse, welche etwas dazu beitragen, wie gut Ihr Hund sich selber zurückhalten kann. Hat er zum Beispiel Schmerzen, welche uns vielleicht gar nicht bewusst sind, fällt es ihm schwerer, sich zusammen zu reissen. Ist gerade Vollmond oder Neumond oder hat das Wetter umgeschlagen? Bei schönem warmem Frühlingswetter sind mehr andere Tiere zu sichten oder zu erschnuppern, was ebenfalls wieder ein grosses Mass an Impulskontrolle fordert. Gewitter oder Donner führen manchmal zu energieraubenden Angstzuständen. Vielleicht gibt es einen neuen Hund im Revier oder eine Hündin in der Nachbarschaft ist gerade läufig. Die Stimmungen der Menschen rund um den Hund beeinflussen ihn zusätzlich. Was war gestern oder die letzten Tage Programm im Leben des Hundes? War vielleicht wegen eines Wettkampfs, einer Wanderung oder einer langen Reise mehr Leistung gefragt? Auch der Zustand des Immunsystems hat einen Einfluss auf die Impulskontrolle. Und selbstverständlich die Fütterung. Ein hibbeliger Hund, welcher mit Futtermitteln wie Mais oder viel Getreide gefüttert wird, hat - wie ein Kind unter zu viel Zuckereinfluss - automatisch weniger Impulskontrolle. Wenn Sie dazu mehr wissen möchten, dann empfehle ich Ihnen von Herzen meinen Blogbeitrag zum Thema Frischfütterung.
Was passiert, wenn das Schnapsglas leer ist?
Dann sehen wir Verhaltensweisen, vor welchen den meisten Hundehaltern graut. Dann kann sich der Hund nicht mehr zurückhalten und tickt eben einfach aus. Gerade Hunde, die über sehr viel Energie verfügen, können regelrecht explodieren. Hunde, welche in die Leine hängen und alles «anschreien» was ihnen entgegenkommt, haben in der Regel einfach nur ihre Impulskontrolle aufgebraucht. Sie können sich einfach nicht mehr zurückhalten. Es kann dabei auch gut sein, dass der Hund die ersten zwei, drei oder auch fünf Hundebegegnungen oder Radfahrer noch meistern konnte, und bei der sechsten rastet er aus. Dann sollte Ihnen jetzt klar sein, dass bei der fünften Begegnung wohl der letzte Schluck aus dem Glas konsumiert worden ist.
Und an diesem Punkt ist die Geschichte ja noch lange nicht zu Ende. Denn was wir bis jetzt noch gar nicht besprochen haben, ist das Glas des Halters. Denn auch das ist mal mehr oder weniger voll und mehr oder weniger gross. Und mit einem sehr hektischen Hund an der Leine kann sich auch dieses Glas sehr schnell leeren. Das ist dann der Punkt, wenn man wütend wird, weil sich der Hund so benimmt, wie er es eben tut. Wenn unsere eigene Impulskontrolle zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgebraucht wäre, könnten wir angemessen auf die Situation reagieren. Wir könnten sie analysieren und es würde uns bewusst werden, dass wir wahrscheinlich unserem Hund heute zu viel zugemutet haben und er deswegen plötzlich nicht mehr zu kontrollieren ist.
Es ist also durchaus ratsam, dass wir uns vor einem Spaziergang oder vor jeglichen Aktivitäten mit unserem Hund fragen: sind unsere Schnapsgläser gerade voll oder sind da nur noch zwei kleine Schlucke drin? Überlegen Sie, wie stark Sie oder auch Ihr Hund in den letzten Tagen gefordert waren und wie oft Sie beide richtig zur Ruhe gekommen sind. Wenn Sie das Gefühl haben, dass das Glas bereits vor dem Spaziergang etwas leerer sein könnte, dann entscheiden Sie sich für eine kürzere Runde. In diesem Fall ist es nicht sinnvoll, einen langen Marsch zum Auspowern zu machen, sondern im Gegenteil. Machen Sie es kurz und legen Sie den Fokus auf das Ausruhen danach, um die Batterien wieder aufzuladen. Denn was in diesen Situationen noch erschwerend hinzukommt: Wenn nur noch wenig oder gar keine Impulskontrolle vorhanden ist, kann auch nicht gelernt werden. Das Hirn hat dafür nämlich in diesem Zustand keine Kapazität mehr. Ausserdem hat es auch einen Einfluss auf das Immunsystem und die Gesundheit des Hundes, ob andauernd Impulskontrolle gefordert ist, oder nicht.
Wie wird das Schnapsglas wieder voll?
Die Impulskontrolle lädt sich ganz automatisch wieder auf, wenn der Hund – oder auch wir selber – zur Ruhe kommt. Durch genügend Schlaf und Ruhe lässt sich das Glas wieder füllen und der Hund wie auch sein Mensch sind für weitere Abenteuer gewappnet. Das Zauberwort ist hier «genügend». Manchmal braucht es durchaus mehr als ein kurzes Mittagsschläfchen, um wieder allen äusseren Reizen widerstehen zu können. Liebevolle Beziehungen beruhigen das System auf allen Ebenen. Wenn sich ein Lebewesen geschützt und geborgen fühlt, ist auch das Mass an der zur Verfügung stehenden Impulskontrolle in der Regel viel höher.
Was kann ich tun, um die Impulskontrolle zu stärken?
Üben Sie immer kleinschrittig mit Ihrem Hund und verlangen Sie nicht zu viel. Alles, was Sie mit Ihrem Hund üben, sollte ihm Spass machen. Bauen Sie sein Training so auf, dass möglichst wenig Frust aufkommt. Je mehr Spass er daran hat, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, desto weniger Impulskontrolle benötigt er. Das heisst auch, desto länger ist sein Schnapsglas noch voll. Und wenn es wirklich mal benötigt wird, kann er mit einem kräftigen Schluck auch sehr anspruchsvolle Situationen meistern.
Leben Sie mit einem aktiven oder auch reaktiven Hund zusammen? Dann rufen Sie sich vor dem Spaziergang meine Ausführungen in Erinnerung. Fragen Sie sich, was in diesem Moment für Sie und Ihren Hund die wertvollste Beschäftigung wäre, um möglichst mit zwei vollen Schnapsgläsern durchs Leben zu gehen.
Leben Sie mit einem Hund, der von Natur aus über ein grosses Mass an Impulskontrolle verfügt? Dann freuen Sie sich darüber! Vielleicht hat Ihnen in diesem Fall mein Beitrag trotzdem gefallen und Sie können künftig für die etwas reaktiveren Hunde, welche Ihnen auf dem Spaziergang begegnen, grösseres Verständnis aufbringen.
Von Herzen alles liebe für Sie und Ihre Haustiere!
Manuela Peter
Lucky Soul Mensch-Hund-Coaching
Manuela Peter
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